EIN BRIEF

 

22.07.2011

 

 

Kürzlich erhielt ich folgende Nachricht.

Der Verfasser, Herr F.H. Möllmann, gab mir die Erlaubnis diesen Brief hier zu veröffentlichen

Hallo Herr Reuter,

vor einigen Jahren war ich mal dort. Ich meinte, es meinem Großvater schuldig zu sein. Kurz danach schrieb ich folgenden Brief an einen meiner Neffen, der Berufssoldat werden wollte.

 

Ich war in Verdun...

85 Jahre nach der Schlacht um Verdun kamen Dusterfeld und ich auf die Idee, zum Vatertag einen "richtig gemütlichen" Ausflug zu machen. Dusterfeld nahm sich eine Straßenkarte vor, und stellte fest, dass Frankreich sooo weit nun auch nicht entfernt sei. Zwischen Daumen und Zeigefinger zeigte er etwa drei Zentimeter Abstand und erklärte mir, es wäre auf der Karte nur so ein Stückchen von Münster ins französische Nachbarland.

Leicht an einem Tag zu schaffen.

Auf meine Frage, welches eigentliche Ziel er sich denn vorstellen würde, kam nach einigem Herumsuchen auf dem Aral-Blatt die Antwort, Werdühn oder wie man das ausspricht, böte sich als Tagesziel an, weil es a) nicht gar zu weit von der Grenze entfernt läge, aber b) doch schon so weit drinnen, dass man sicherlich das Gefühl bekäme, in einem von diesen kleinen Restaurants an der Chaussee, die von außen unscheinbar bis schmuddelig wirkten, von innen jedoch eine Küche von epochaler Qualität vorzuweisen hätten, zu sitzen und mahlzeiten würde wie ein Franzmann..

Dusterfeld ist 15 Jahre jünger als ich und in der Historie eher unbeleckt.

Auf zeitliche Einwände hin, blieb Dusterfeld der Meinung, kurz nach Verdun hin, daran vorbei und sich das Land anzuschauen, wäre doch eigentlich ein Klacks...

"Dusterfeld, mein Junge", sagte ich mit der Weisheit des Alters, "Dusterfeld, genau so haben schon einmal Leute gedacht." Dusterfeld erwiderte, dass das gut sei, wir wären dann ja nicht die ersten und einzigen. Ich sagte ihm nicht, welche Folgen dieses Denken gehabt hat.

Ich dachte, ein jeder halbwegs gebildete Europäer wüsste darum...

Es war auf Himmelfahrt, wie Du weißt, ein einfach göttliches Wetter. Die Autobahnen waren frei, wohl weil der Urlaubsverkehr im Lande schon am Mittwoch abging. Ich erzählte unterwegs die Dinge, die uns Kindern unser seliger Großvater von Verdun erzählte. Von dem tagelangen Trommelfeuer, von den Grabenkämpfen Mann gegen Mann, von den Mohren, die sich an die Verwundeten, die man notversorgt im Niemandsland zwischen den Gräben liegen ließ, heran schlichen und mit langen Messern taten, was man von ihnen verlangte. Blieb der Verwundete eine gewisse Zeit am Leben, hatte er eine winzige Chance. Man verständigte sich mit den Franzosen über die Gräben weg mit weißen Flaggen, denen dann die Wimpel mit dem roten Kreuz folgten. Großvater meinte, die weiße Flagge hätte mehr für die Menschen getan, als alle Politiker zusammen.

Ich gab die Geschichten wieder vom Wäldchen, das man den "Toten Mann" nannte, von der Höhe 304, den Kämpfen um das Dorf Fleury, welches viermal mal den Besitzer wechselte und von den Forts Douaumont und Vaux.

 

Und wie der Himmel Gnade hatte mit meinem Großvater, und eine französische Gewehrkugel in seinen Oberschenkel lenkte. Wie er zur Versorgung in den eroberten Douaumont kam und wie die Verwundeten unter heldenhaftem Einsatz von Ihren Kameraden durch das Feuer geborgen wurden und er im damals deutschen Metz im Lazarett lag. Und wie er trotz des Lazarettes gerade rechtzeitig humpeln konnte, um an dem von den Engländern angeleiertem Schlachtfest an den eigenen Leuten und den Deutschen an der Somme teilnehmen zu können. (Anbei: 1,1 Mio Tote insgesamt, davon 120.000 Deutsche, Geländegewinn für das Empire: 0-0,8 km...).

Aber die Somme war nicht unser Ziel und Dusterfeld hörte sich die Geschichten an wie wir damals: Als schrecklich furchtbar schlimme, aber gleichwohl spannende Abenteuergeschichten.

Ach Opa, wenn du wüsstest...

Irgendwann waren wir in Metz und ich sah eine französische Stadt. Von den deutschen Jahrhunderten war aber auch mal gar nichts mehr zu sehen. Etwas außerhalb fanden wir auch unser typisch französisches Restaurant an der Chaussee. Von außen mehr unscheinbar als was weiß ich. Von innen aber hallo! Es gab alles zu sehen: Bilder von Paris, von der Kohtazür, vom Resistance-Großvater und was weiß ich. Nur zu essen gab es nichts. Weil, wie uns der Wirt, ein echter Schangel, erklärte, in Fronkreisch gäbe es warmes Essen GRUNDSÄTZLICH nur bis 2 Ühr! Grüße an Tommy Engel von den Black Fööss.

  

 

Woraus sich für den weiteren Verlauf der Reise ergab wie folgt: Ich hatte von der ganzen Autofahrerei eh keinen Hunger und Dusterfeld lag mir pausenlos in den Ohren wg. Kohldampf und doch wohl nicht McDingens, wo er schon EINMAL im Leben in Frankreich sei. Als wir nach einigen Irrfahrten über diese eigenartigen französischen Dörfer in Verdun ankamen, entdeckte er eine Art Pommesbude auf französisch. So ’ne Art McDupont. Und er traute sich, einen französischen Hamburger zu essen: Wattebrötchen ca. 20 cm Durchmesser mit angemessenem Fleischplattklops. Auf diesem befand sich ein Spiegelei mit Mayonnaise und als Gaumenlabe eine Portion Pommes. Darauf die Deckplatte aus der oberen Brötchenhälfte. Noch nach Tagen beklagte er sich über diesen Fraß. Wo er doch nur EINMAL im Leben nach Frankreich käme, dem Lande Paul Bocuses.

Ich muss ehrlich sagen, dass mir das alles irgendwie irgendwo vorbei ging. Ich war in Verdun. Und weil ich über all die Dinge, die Verdun zu Verdun machten, wusste, und weil ich eine eigenartige, ja was. Unruhe war es nicht. Nervosität oder Neugierde auch nicht, spürte. Es war so ein Gefühl, als beobachtete ich mich selbst. Jetzt sitzt er hier, jetzt geht er über die Rue Soundso. Jetzt sieht er das historische Stadttor.

Wir besuchten die Zitadelle, die noch heute in ihrer grauen Masse eine ungeheure Wirkung im Wortsinn ausstrahlte. Verdun wurde ja 1916 nicht erobert. Für 30 Franken nahmen wir an einer High-Tech-Führung in der Zitadelle teil.

Mein Großvater hatte Leben und Gesundheit einsetzen müssen, weil "man" in die Zitadelle wollte, und ich legte schlappe 10 DM hin und wurde freundlich begrüßt. So sind die Menschen.

Was heißt Führung, man besteigt (mit gesammelten 6 deutschen Touristen) ein "Waco" genanntes Elektro-Gefährt, dass durch kaum sichtbare Magnetstreifen geführt wird. Lässt sich auf der Fahrt durch die Grotten und Gewölbe von einer täuschend echten Geräuschkulisse und deutschem Kommentar berieseln. Es ist arschkalt, die Kulissen sind echt und die Hologramme lassen einen den Kitsch ertragen, den die Franzosen wohl zur Glorifizierung ihrer Vergangenheit brauchen.

Die Fahrt und die Erklärungen und Schilderungen französischer Tapferkeit nahmen schier kein Ende und waren für mich, der ich einen kritischeren Umgang mit der nationalen Geschichte gewohnt bin, etwas befremdend in ihrer Kritiklosigkeit.

Dusterfeld brachte das auf den Punkt, als er fragte, gegen wen die eigentlich gekämpft haben. Nicht, dass er nicht wusste, gegen wen, sondern weil das Wort "Deutsche Soldaten" nicht erwähnt wurde.

 

Dann fuhren wir hinaus auf das Schlachtfeld. Wenn ich jetzt schreibe, dass es heute wie damals keine Worte gibt, die auch nur annähernd das Gefühl des wissenden Menschen beim Anblick dieser "Landschaft" wiedergeben können, dann ist das keine Phrase, sondern die schlichte Wahrheit. 85 Jahre vermochten nicht, vermochten auch nur annähernd nicht, die Narben zu verdecken, die die z.T. tonnenschweren Geschosse bei ihren Detonationen der Landschaft schlugen. Wir kennen alle diese Bilder vom Argonnerwald, der nur noch aus Stümpfen bestand.

Das Schlachtfeld vor Verdun bestand nicht einmal mehr aus Stümpfen. Heute traut sich der Wald langsam zurück. Du stehst vor einem riesigen Trichter, der mit einem moosähnlichen Gras bewachsen ist und siehst einigen feinen Bauschutt auf seinem Grund. Daneben das gleiche und daneben auch. Der Bauschutt in den Trichtern ist das Dorf Fleury. Es gibt noch mehr dieser Dörfer, die man nicht mehr aufgebaut hat.

Du gehst durch einen Wald, mehr so eine Art Schonung Der Waldboden hat ein Relief wie diese Pappe-Lagen, in die man Eier zum Verkauf legt. Du siehst armierte Betonpfeilerchen aus dem Boden ragen und liest, dass hier der Graben No. 226 herläuft, der immer wieder mit Hekatomben von Menschenopfern den Besitzer wechselte. - Verrecken um eines Grabens willen in einem Acker. Sterben für ein paar Betonstangen.

Heute weiß man, dass es weder kriegsentscheidend gewesen wäre, noch eine nationale Schande, hätte man Verdun geräumt und die Deutschen vorbeigelassen. Zu Beginn der Schlacht waren die meisten Bastionen eh schon geräumt, weil der Verteidigungsring um Paris weiter nördlich lag.

Es ging ums Prestige. Die Deutschen ärgerten sich über das "Wunder an der Marne", das ihren rasanten Vormarsch zum Halten gebracht hatte und Genéral Foche wollte Marschall werden, wie Falkenheyn, sein deutscher Gegenspieler. Auf einmal lag für die Deutschen der Sieg bei Verdun und für die Franzosen wurde die Stadt zum Schlüssel Frankreichs. Beides stimme nicht.

Das Armeeoberkommando (AOK) des Reiches rechnete bald nicht mehr mit Menschen, die man zum Einsatz brachte, mit den Söhnen der eigenen Nation, sondern - kein Witz - man rechnete in Kubikmetern Menschenmaterial. Die und die Kubikmenge Mensch brauchte täglich soundsoviel Wasser, Brot und Munition. Soundsoviel Festmeter Holz für Särge, soundsoviel "Feldnachschub" und hielt soundsoviel Tage vor. Dann musste wieder eine entsprechende Menge an Mensch herangeführt werden, um die Front zu halten. Wollte man vorrücken, brauchte man pro Meter die doppelte Menge Mensch und Munition.

Und die Franzosen dachten genau so.

 

Mein Großvater sagte, bei Verdun gab es keine Sieger, nur arme Schweine. Egal, welche Sprache sie sprachen.

Da gibt es als Nationalheiligtum das "Beinhaus" von Verdun. Man hat einen Turm errichtet in Form einer riesigen Granate und ein längliches Gebäude, das an Tunnel und Bunker erinnern soll. In diesem Gebäude befinden sich 13 Kapellen, die an die Regimenter oder Einheiten erinnern sollen, die hier für Frankreich in glorreichem usw.. Das grausame sind die Kellergewölbe, in die man durch Glasscheiben Einsicht nehmen kann und die die Knochenreste von 130.000 toten jungen Menschen beinhalten.

Immer wieder findet man riesige Grabfelder von alliierten Soldaten. Die Deutschen liegen noch da, wo sie starben. Nicht einmal im Tode, nicht einmal nach Deutsch-Französischer Freundschaft und dem ganzen Schmonzes erweist man allen Toten Respekt. Keiner von den jungen Männern wollte Frankreich erobern. Man hat sie nicht gefragt, man hat sie herangekarrt und verrecken lassen. Und nicht einmal einen Grabstein oder Gedenkstein hat man für sie übrig oder lässt die deutsche Kriegsgräberfürsorge graben, um die Knochen zu beerdigen. Freundschaft zeigt sich da, wo sie sich bewähren muss.

Und wieder gehst du weiter durch diesen Wald mit seinem welligen Boden. Ein Schild sagt dir, dass du dich auf der Höhe 304 befindest. Hier hat mein Großvater Hans Benten gelegen. Ich weiß nicht, ob er geweint hat. Aber ich hatte seit Betreten des Feldes einen Kloß im Hals.

Wieder eines von diesen kleinen Schildern sagt dir, dass man hier 300 Soldaten vermutet, die in einem von den Bergleuten aus Westfalen (Mineurs de Oueste-Phalia) angelegtem Stollen verschüttet wurden. 100 Meter weiter liegen 250-600 Engländer, vermutet man.

Wir gingen schweigend durch den Wald zurück zum Auto und es dauerte lange, bis wieder ein Gespräch in Gang kam. Da waren wir schon im Saarland.

Es dauerte Wochen, bis ich mich von diesem Eindruck, von dieser Trauer und dieser Erschütterung befreien konnte.

Gelernt haben wir nichts, gar nichts daraus.

Sag mir, wo die Blumen sind... 

 

Es folgte - durchnumeriert - der Krieg No. Zwo, noch mörderischer, noch Menschen verachtender, mit diesmal nicht zu beschreibendem verbrecherischen Tun auf deutscher Seite. Nicht allzu lange, nach dem Dr. Adenauer sein: „Nie wieder Deutsche Soldaten" formulierte, marschierte ich in kaum veränderter Luftwaffenuniform als Deutscher Soldat. Und meine Kinder und fast meine Enkel dienen im Kosovo, in Afghanistan und sonstwo.

Besagter Neffe ist letztens zum Oberleutnant befördert worden.